Das Schlimmste, was ich jetzt hätte tun können, war, die junge Frau mir gegenüber anzustarren. Ich war in die S23 gestiegen und hatte mich ins halb volle Abteil gesetzt. Was war es, das mich an dieser Frau – sie mochte knapp zwanzig Jahre alt sein – so faszinierte? Wahrscheinlich war es ihr Gesicht, ihre Mimik. Wenn ich auch gut gelernt habe, Gesichter zu lesen und zu beschreiben, überlege ich jetzt – einen Tag später – immer noch und finde kaum die treffenden Worte für diesen Gesichtsausdruck.
Sehr dezent geschminkt, nur mit ein wenig Goldstaub auf den Wimpern, sass die Frau da und strahlte – so lässt dich das wohl am ehesten beschreiben – eine Art abgeklärte Erwartungshaltung aus. Sie sass einfach da und wartete. Worauf, erlebte ich zwischen Winterthur und Effretikon: Die Sonne, die über den Hügeln aufgegangen war, liess ihr Gesicht erstrahlen. Nicht nur dass sie von aussen angestrahlt worden wäre – nein, diese Frau reflektierte den Sonnenschein, indem sie ihn genoss und wieder abstrahlte. Ihr warmes Lächeln erfüllte nun das Abteil auch noch, als wir längst wieder im Schatten des Waldes und der Lärmschutzwände fuhren, wunderbar unschuldig.